Die Künstlerin ist anwesend / The artist is present. Mit dieser Ankündigung laden Galerien, Kunstvereine und Museen zu Eröffnungen und versprechen sich davon mehr öffentliches Interesse. Aber die Künstlerin beziehungsweise der Künstler ist durch seine Kunst ohnehin anwesend. Viel dringlicher stellt sich die Frage: Wer oder was ist sonst anwesend? Geister der Vergangenheit? Etwa Erzählungen von Übergriffen, emotionaler Erpressung und strukturellem Machtmissbrauch. Dies fördert „Chapters of Violence“ zutage.
Mit der Ausstellung stoßen die Künstler:innen Veronika Christine Dräxler und Patrick Alan Banfield gemeinsam mit der galerie weißer elefant einen gemeinschaftlichen Reflektions- und Aufarbeitungsprozess an, der sich mit misogynen Strukturen im Ausstellungsbetrieb auseinandersetzt und der weit über die Grenzen der Galerieräume hinausgeht. Ein Prozess, der multiperspektivisch geführt wird: weiblich, männlich, institutionell. Denn die Erfahrungen der Künstlerin sind das Resultat von Machtstrukturen, die ein kulturell einprogrammiertes Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau erzeugen. Diesen Machtstrukturen wiederum liegen kollektive Traumata zugrunde. Sie sind das Ziel der Ausstellung. Das Trauma ist anwesend. Machtstrukturen, vor allem solche, die Ungleichheiten zwischen Geschlechtern befördern, existieren überall. Sie sind getarnt in Mustern, die Kultur und Gesellschaft reproduzieren.
Das Getarnte muss sichtbar werden.
Persönliche Erfahrungen von Trauma werden in der Ausstellung „Chapters of Violence“ in Bezug gesetzt zu inhärenten gesellschaftlichen Konventionen und Hierarchien. „Chapters of Violence“ ist die Momentaufnahme des Prozesses, kollektive Traumata, die zu der Konstruktion derselben institutionellen Rahmenbedingungen führten, in deren Handlungsrahmen die Ausstellung sich selbst ereignet, zumindest sichtbar zu machen. Gleichsam untersuchen die kombinierten Werke von Dräxler und Banfield die innewohnende Ambivalenz der Symptome gesellschaftlicher Traumata: In welchem Verhältnis steht toxische Männlichkeit zu Softness und Verletzlichkeit? Zu wessen Lasten kann ein Heilungsprozess stattfinden und wer „bezahlt“ ihn – im ökonomischen wie im emotionalen Sinn. Die Ausstellung ist eine installative Anordnung, die alle Einzelwerke wie auch Räume in ein übergreifendes Konzept integriert. Banfields umfangreiches, filmisches Oeuvre sowie seine installativen Anordnungen medienbasierter Kunst korrespondieren erstmals vis-à-vis mit Veronika Christine Dräxlers Werken: Performativität trifft Kinematographie, Objekt- trifft Medienkunst. Erstmals entstanden in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Unternehmen ZigZagZurich | 4spaces neue Textilarbeiten beider Künstler:innen.
Prozessorientiert ist die Ausstellung entwickelt worden mit dem Ziel, weibliche, männliche sowie institutionelle Perspektiven auf strukturelle Ungerechtigkeit einzubinden. Wie trägt Männlichkeit zu zwischengeschlechtlichen Ungleichheiten bei? Inwiefern konsolidieren institutionelle Rahmenbedingungen auf diesen Ungleichheiten fundierte Ungerechtigkeiten? Und wie sieht eine Form toxischer Weiblichkeit aus? Wie in einem Nervensystem beziehen sich die Galerie- und ehemaligen Wohnräume aufeinander, sind ineinander verwoben wie subjektive und intersubjektive Narrative, deren Grenzen in der Ausstellung aufgelöst werden. Der Ort, an dem diese abstrahierte Dichotomie am stärksten in Erscheinung tritt, ist zugleich der umfunktionierte Galerieraum: die Wohnung.
Für die Ausstellung entstehen neue künstlerische Beiträge, kollaborative Arbeiten sowie Einzelwerke. Gemeinsam mit dem Patrick Alan Banfield hat sich Dräxler dem mit Gewaltgeschichten gefüllten Galerieraum genähert und eine Parallelstruktur mit äquivalenten Geschichten entwickelt, die in Installationen, Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen, (Wand-)Malereien und Sound-Werken erzählt wird.